Biblischer Hintergrund des Mottos “Ite ad Joseph!”

Die Josephsgeschichte verweist sowohl auf Jesus Christus, als auch auf den hl. Joseph

Der Spruch „Ite ad Joseph – Geht zu Joseph“ ist dem Alten Testament (Gen 41,55) entnommen. Wie kann er sich dann auf den hl. Joseph – eine Gestalt des Neuen Testaments – und seine Verehrung heute beziehen? Diese Frage ist komplexer, als sie auf den ersten Blick scheinen mag, und auch eine nachhaltige Recherche in den Weiten des Internets fördert keine wirkliche Antwort zutage. Da wir den Spruch zum Titel und Motto unserer Webseite gewählt haben, möchten wir diese Lücke hier schließen und der Sache auf den Grund gehen. Die Antwort lautet nämlich nicht einfach nur, dass der Joseph des Alten Testaments den gleichen Namen wie der hl. Joseph trägt, auch wenn das natürlich eine Rolle spielt. Vielmehr gelangen wir erst über einige Umwege von der alttestamentlichen Josephsgeschichte zum hl. Joseph. Im Folgenden wollen wir diesen Weg Schritt für Schritt nachvollziehen. Beginnen wir damit, indem wir zunächst einen genaueren Blick in das Buch Genesis (Kapitel 37 bis 50) werfen, in dem die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern erzählt wird.

Joseph, einer der zwölf Söhne Jakobs bzw. Israels, wird von seinen eifersüchtigen Brüdern als Sklave nach Ägypten verkauft, wo er ein wechselvolles Schicksal durchleidet, dank der göttlichen Vorsehung schließlich aber zur rechten Hand des Pharaos aufsteigt. Joseph hatte die große siebenjährige Hungersnot vorausgesagt und Vorkehrungen getroffen, um den Tod des Volkes zu verhindern. Als die Hungersnot wirklich ausbricht, wird Joseph die Herrschaft über ganz Ägypten anvertraut. Er ist der mächtigste Mann nach dem Pharao. Als das Volk daher vor Hunger zum Pharao schreit, verweist der Pharao das Volk auf seinen mächtigen Stellvertreter: „Geht zu Joseph, und was er Euch sagt, das tut!“ (Gen 41,55) – Joseph ist der Retter in der Not, der durch weise Vorkehrungen ganz Ägypten und auch die benachbarten Völker mit Getreide versorgt und so vor dem Untergang bewahrt. Auch seine schuldigen Brüder ziehen von Kanaan aus schließlich nach Ägypten, um Getreide für ihre Heimat zu kaufen. Dabei versöhnen sie sich mit Joseph, der ihnen ihre Schuld verzeiht.

Der Spruch bezieht sich hier also auf Joseph von Ägypten, den Sohn des Jakob. Gleichzeitig wird er in übertragener Hinsicht oft auf den hl. Joseph gedeutet, und aus diesem Grund haben wir ihn auch als Motto unserer Webseite gewählt: Wir sind überzeugt, dass der hl. Joseph uns in der geistigen Hungersnot unserer Zeit durch seine Fürsprache retten kann, so wie Joseph von Ägypten damals der Retter in der materiellen Not der Völker der orientalischen Welt gewesen ist. Wir glauben das nicht nur, sondern wir haben auch selbst erfahren, wie wir durch die Verehrung des hl. Joseph Probleme lösen, Krisen durchstehen, Hindernisse überwinden und unser geistliches Leben vertiefen konnten. Davon wollen wir gerne Zeugnis geben, damit immer mehr Menschen zum hl. Joseph finden!

Wem es also nur darum geht, zu verstehen, welche Botschaft wir senden wollen, indem wir diesen Spruch als Motto unserer Webseite gewählt haben, der kann hier eigentlich aufhören zu lesen. „Ite ad Joseph – Geht zu Joseph“ ist ein Aufruf an alle, den hl. Joseph zu verehren.

Eigentlich aber bezieht sich der Spruch seiner tieferen geistlichen Bedeutung nach – so wie die Josephsgeschichte insgesamt – auf Jesus Christus. Um verstehen zu können, warum das so ist, und wie am Ende dann doch wieder der hl. Joseph ins Spiel kommt, müssen wir zunächst ein Grundprinzip der Bibelauslegung (der sogenannten biblischen „Exegese“) kennenlernen.

Das Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament lässt sich als eines zwischen „Verheißung“ und „Erfüllung“ beschreiben: Das, was im Alten Testament geschrieben steht bzw. was sich während des „Alten Bunds“ ereignet hat, präfiguriert (d.h. „nimmt vorweg“) das Neue Testament bzw. den „Neuen Bund“. Im Alten Testament wird der Messias verheißen. In Jesus Christus sind diese Verheißungen erfüllt. Jesus Christus stiftet den Neuen Bund, in dem der Alte ,aufgehoben‘, d.h. zu seiner Vollendung gelangt ist. Seit den Anfängen des Christentums wurde daraus gefolgert, dass nicht nur die mehr oder weniger ausdrücklichen Messias-Verheißungen auf Christus vorverweisen, sondern dass sich in praktisch jedem Detail des Alten Testaments ein tieferer geistlicher Sinn verbirgt, der bereits auf Christus und den von Ihm gestifteten Neuen Bund geheimnisvoll hindeutet. Bei den Kirchenvätern wurde dafür die sog. „typologische Exegese“ begründet, die besagt, dass das Alte Testament voller „Antitypen“ ist, die wie schattenhafte Vorbilder auf den „Typus“ Christus vorausdeuten.

Eines der bekanntesten Beispiele ist die „Opferung Isaaks“ durch Abraham: Diese erschütternde Geschichte erhält ihre tiefere Bedeutung erst dadurch, dass Abraham ein Bild für Gottvater, Isaak ein Bild (Antitypus) für Christus (Typus) ist. Abraham soll seinen einzigen Sohn Isaak opfern, so wie Gottvater Seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus hingibt für unsere Sünden.

Ein weiteres Beispiel ist nun die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern, die im Buch Genesis erzählt wird. Was heute wenigen bekannt ist, war während der meisten Zeit des Christentums Gemeingut. Seit dem 2. Jahrhundert wurden in Theologie und Kunst die Parallelen zwischen dem Leben Josephs von Ägypten und dem Leben Jesu Christi in immer neuen Variationen dargestellt, erzählt und aufgezeigt. Das ging so weit, dass man Jesus als „verus Joseph“, als „wahren Joseph“ bezeichnete, weil in ihm erst die volle Bedeutung der Josephsgeschichte offenbar wird.

Besonders das wechselvolle Schicksal Josephs von Ägypten lässt an die Passion Christi denken. Von seinen eigenen Brüdern für 20 Silberlinge (!) als Sklave verkauft, kommt Joseph dann unschuldigerweise ins Gefängnis (Verrat, Passion, Kreuzigung und Tod). Josephs Befreiung entspricht der Auferstehung. Sein Aufstieg zur rechten Hand des Pharao entspricht der Verherrlichung des Auferstandenen, Dem von Seinem Vater „alle Macht gegeben ist“ (Mt 11,27). Im Psalm 105 (Vulgata: 104) wird die Josephsgeschichte wieder aufgegriffen, der Vers „Er machte ihn zum Herrn seines Hauses, zum Gebieter seines ganzen Besitzes“ (Ps 105, 21) ist bekannt durch seine Verwendung am Schluss der Josephslitanei, bezieht sich seiner tieferen geistlichen Bedeutung nach aber zunächst auf Jesus Christus selbst, den König und Herrscher über alle Welt.

Sodann ist Joseph von Ägypten eine Erlöserfigur: Er rettet das Volk vor dem Untergang. Er verzeiht seinen schuldigen Brüdern ihre Sünden. Durch ihn kommt es zur Versöhnung der Familie Jakobs, die gleichzeitig ganz Israel – so ja auch der zweite Name Jakobs – repräsentiert. Dass Joseph endlich der „Brotspender“ ist, deutet natürlich auf die hl. Eucharistie. Jesus Christus ist das „lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“, um uns zu nähren zum ewigen Leben (Joh 6).

Wenn wir all dies im Blick haben, dann wird uns auch klar, dass wir bei dem Spruch „Geht zu Joseph, und was er Euch sagt, das tut“ nur den Namen „Joseph“ durch „Jesus“ austauschen müssen, und so im zweiten Kapitel des Johannesevangelium landen. Es ist die bekannte Anweisung Marias an die Jünger bei der Hochzeit von Kana: „Was er Euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Maria ist uns Vorbild dadurch, dass sie uns zu Jesus bringt – per Mariam ad Jesum.

Mit dem Spruch „Ite ad Joseph“ ist in erster Linie also gemeint, dass wir uns zu Jesus Christus bekehren müssen. Er ist der einzige Mittler und Erlöser, ohne Den kein Heil ist. Denn so wie ohne den Joseph des Alten Testaments die Ägypter verhungert wären, könnnen auch wir das Heil unserer Seele nur durch Jesus Christus erlangen.

In zweiter Linie wird der Spruch aber auch mit Recht auf den hl. Joseph, den Nährvater Jesu Christi, angewendet. Wenn man davon ausgeht, dass in Jesus Christus die Verheißungen des Alten Testaments erfüllt sind, dann gilt das natürlich für die ganze Heilswirklichkeit, die durch die Menschwerdung Christi begründet wird. Hierfür könnten wir nun unzählige Beispiele anführen: Den zwölf Stämmen Israel entsprechen die zwölf Apostel, die Kirche ist das neue Israel usw. In noch viel tieferer Weise gilt dies aber für die beiden Personen, die ja selbst mit dem Geheimnis der Menschwerdung so innig und aktiv verbunden sind, dass ihnen die Verantwortung für den menschgewordenen Gott übertragen war – Maria und Joseph. Ohne das „fiat“ Mariens wäre Gott nicht Fleisch geworden. Ohne die treue Sorge des hl. Joseph hätten Maria und Jesus nicht nach Ägypten fliehen können. Der hl. Joseph hat die Hl. Familie beschützt, ernährt und geleitet. Er hat Jesus seiner Menschennatur nach erzogen und geformt. 

Daher beziehen sich die Verheißungen des Messias indirekt immer auch auf dessen Mutter, ohne die Er ja nicht geboren worden wäre, und in einem weiteren Sinn auch auf dessen Nährvater, weil nur durch ihn der Messias in einer Hl. „Familie“ aufwachsen konnte, wie es der Wille Gottes war. Nach diesem Vorbild hat die Kirche von alters her einige Schriftstellen des Alten Testaments auf Maria übertragen, die sich in erster Linie eigentlich auf Christus beziehen. Wenn im Alten Testament von der Weisheit die Rede ist, so bezieht sich das meist auf Christus, Der als ewiger Logos des Vaters die Weisheit selbst ist. Maria gilt nun aber als Sitz der Weisheit („sedes sapientiae“), weil sie die Mutter des ewigen Logos ist, der – wie gerade in den frühesten Muttergottesdarstellungen sinnfällig wird – buchstäblich auf ihrem Schoß „sitzt“. Schriftstellen wie „Der Herr besaß mich im Anfang Seiner Wege, von Anbeginn, noch bevor Er etwas geschaffen hat“ (Weish 8, 22), beziehen sich daher direkt auf Christus, indirekt aber auf Maria, und daher werden sie wie in diesem Fall auch im Messformular zum Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens verwendet.

Nach diesem Vorbild lassen sich nun freilich auch die Josephsgeschichte oder Teile davon, die in erster Linie auf Jesus Christus hindeuten, in zweiter Linie auch auf den hl. Joseph als den Nährvater Christi beziehen. Das liegt natürlich schon durch die Namensgleichheit nahe – weil es in der hl. Schrift keine Zufälle gibt, dürfte diese Namensgleichheit auch einen tieferen Sinn haben. Und immerhin hat auch die kirchliche Tradition diesen Vergleich zwischen beiden „Josephs“ relativ früh gezogen. Das gilt in der Theologie als „Traditionsbeweis“.

So schreibt bereits der hl. Bernhard von Clairvaux (1090-1153) in seiner zweiten Predigt über die Verkündigungsszene (“Homiliae super missus est”):

Du kannst ihn [den hl. Joseph]  jenem großen Patriarchen vergleichen, der nach Ägypten verkauft wurde (Gen 37,27). Und wisse, dass er nicht nur dessen Namen erhalten, sondern auch dessen Keuschheit erlangt, dessen Unschuld und dessen Gnade erreicht hat. Freilich hat jener Joseph, der wegen des Neids seiner Brüder nach Ägypten verkauft wurde, den Verkauf Christi präfiguriert: dieser Joseph floh den Neid des Herodes und trug Christus nach Ägypten (Mt 2,14). Jener bewahrte seinem Herrn die Treue und verweigerte dessen Frau den Beischlaf (Gen 34,12); dieser hat seine Frau, die Mutter seines Herrn, als Jungfrau anerkannt und beschützte sie treu, indem er selbst jungfräulich blieb. Jenem wurde Einsicht in die Geheimnisse der Traumdeutung zuteil (Gen. 40, 41); diesem wurde die Mitwisserschaft und Teilnahme an den himmlischen Heilsgeheimnissen zuteil (Mt 1,20). Jener hat das Getreide nicht für sich, sondern für das ganze Volk bewahrt (Gen. 40, 41); dieser nahm das lebendige Brot vom Himmel in Gewahrsam sowohl für sich wie für die ganze Welt. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Joseph ein guter und treuer Mensch war, dem die Mutter des Erlösers verlobt war. Ein treuer und kluger Knecht, sage ich, den der Herr zum Trost seiner Mutter bestellt hat, zum Ernährer seines Fleisches, und endlich zu seinem einzigen, treuesten Helfer im Lande des großen Rates.”

Ganz in diesem Sinne wird der hl. Joseph in der Apostolischen Konstitution Quemadmodum Deus, mit der Papst Pius IX. den Nährvater Jesu Christi im Jahr 1870 zum Patron der Kirche erhoben hat, gleich zu Beginn als Erbe Josephs von Ägypten eingeführt:

“So wie Gott einst jenen Patriarchen Joseph, den Sohn Jakobs, zum Herrscher über ganz Ägypten stellte, um dem Volk die Getreidevorräte zu bewahren, so wählte sich der Ewige, als die Zeit erfüllt war, da er seinen Eingeborenen auf die Erde senden wollte, um die Welt zu erlösen, einen anderen Joseph, für den der erste das Vorbild (Typus) war, und den er zum Herrn und Fürsten seines Hauses und seiner Güter machte und den er zum Behüter seiner reichsten Schätze erwählte. In der Tat vermählte sich Joseph mit der unbefleckten Jungfrau Maria, aus der durch die Kraft des Heiligen Geistes Jesus Christus geboren wurde, der sich würdigte, in den Augen aller als Sohn Josephs zu gelten und ihm untertan war. Denjenigen, den so viele Propheten und Könige zu sehen sich innig sehnten, hat dieser Joseph nicht nur gesehen, sondern er unterhielt sich mit ihm, er umarmte ihn mit väterlicher Zuneigung und küsste ihn; und auch nährte er mit größter Gewissenhaftigkeit und Fürsorge denjenigen, den das gläubige Volk als das vom Himmel herabgestiegene Brot essen sollten, um das Ewige Leben zu erlangen. Wegen dieser hocherhabenen Würde, die Gott diesem seinem allertreuesten Diener verlieh, hat die Kirche den allzeit seligen Joseph nach der allerseligsten Jungfrau, seiner Braut, am Höchsten geehrt und gelobt und seine Hilfe in Bedrängnissen angerufen.”

In der Auslegung der hl. Schrift gibt es oft eine Art „Polyphonie“ mehrerer Bedeutungsebenen, die sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern nebeneinander bestehen. Joseph von Ägypten kann sich daher sowohl (in erster Linie) auf Jesus Christus, als auch (zusätzlich) auf den hl. Joseph beziehen.

Einen Hinweis auf diese Doppeldeutigkeit finden wir auch in der Schutzmantelandacht, einem der mächtigsten Gebete zu Ehren des hl. Joseph. Dort heißt es: „Auch bei Dir [dem hl. Joseph] ging der Traum des ägyptischen Joseph, Deines Vorgängers, in Erfüllung. Du warst nicht nur mit den herrlichen Strahlen der göttlichen Sonne umgeben, sondern auch vom sanften Licht des mystischen Mondes, Maria.“ Dieses „Auch bei Dir“ setzt voraus, dass der Traum des alttestamentlichen Joseph, in dem Sonne und Mond sich dereinst vor ihm verneigen (Gen 37,9), in erster Linie bei Jesus Christus in Erfüllung ging, vor dem sich die ganze Schöpfung anbetend verneigt – so haben es die Kirchenväter durchweg interpretiert. Wie dieser Abschnitt aus der Schutzmantelandacht zeigt, kann man den Traum aber auch von der symbolischen Bedeutung von Sonne und Mond her interpretieren – in der Regel nämlich symbolisiert die Sonne die Gottheit Christi (darum spricht man auch von Christus als von der „Sonne der Gerechtigkeit“) während Maria von alters her durch den Mond versinnbildlicht wird, der von der Sonne erleuchtet wird. Vor wem aber könnten sich Jesus und Maria verneigt haben, wenn nicht vor dem hl. Joseph als dem Haupt der Hl. Familie?

So wie Joseph von Ägypten, der vom Pharao zum Herrscher über Ägypten eingesetzt ist, ein Vorbild für Jesus Christus ist, dem vom Vater „alle Macht gegeben“ ist, so kann er doch auch den hl. Joseph versinnbildlichen, der von Gott zum Haupt der hl. Familie und damit zum Nährvater, ja in gewisser Weise zum „Herrn“ über den menschgewordenen Gott selbst berufen wurde. In Jesus Christus wohnt die Fülle der Gottheit – daher gewinnt der in der Josephslitanei verwendete Psalmvers „Er machte ihn zum Herrn seines Hauses und zum Verwalter seines ganzen Besitzes“ auch hieraus einen tieferen Sinn: Der hl. Joseph hatte die Verantwortung für die Fülle der Gottheit, für die Fülle der Gnaden, für die Fülle des Heils, das in Jesus Christus fleischgeworden war. Wer kann das ermessen und nicht in grenzenloses Staunen verfallen? Welche Heiligkeit musste den hl. Joseph auszeichnen, um solch eine Verantwortung übertragen zu bekommen?

Dass sich das Motiv der Hungersnot und der Getreidevorräte auf die hl. Eucharistie bezieht, gilt unabhängig davon, ob Joseph von Ägypten nun auf Christus oder auf den hl. Joseph vorausdeutet. Im einen Fall kann Joseph als Jesus Christus gedeutet werden, der selbst das lebendige Brot ist, das vom Himmel herabgekommen ist, um die ganze Menschheit zu erlösen und zu nähren zum ewigen Leben. Im anderen Fall war dieses lebendige Himmelsbrot eben zunächst dem hl. Joseph anvertraut, so wie die Getreidevorräte Ägyptens Joseph als der rechten Hand des Pharaos anvertraut waren. Der hl. Joseph erfüllte die Funktion eines Nährvaters, er hatte also die Aufgabe, Christus, das lebendige Brot, zu ernähren, d.h. zu erhalten, zu erziehen und zu beschützen, noch bevor Christus Sein öffentliches Wirken begann und schließlich Sein Leben hingab für uns.

Und der springende Punkt ist freilich, dass der hl. Joseph uns wie jeder Heilige immer nur dadurch hilft, dass er Fürsprache bei Jesus hält und uns zu keinem anderen als zu Jesus wieder hinführt. Wenn wir zum hl. Joseph gehen in unseren Nöten, dann wird er uns mit Jesus, dem Brot des Lebens, speisen.

Und darin liegt vielleicht die tiefste Wahrheit, die dieser Spruch birgt: Der hl. Joseph ist der Heilige, dem in der Not unserer Zeit die allerhöchste Verantwortung obliegt, nämlich die Gnaden und Rettungsmittel Jesu Christi zu verwalten. Die Muttergottes gilt vielen Theologen als „Mittlerin aller Gnaden“. Nach dieser (nicht allgemeinverbindlichen) Auffassung sind alle Gnaden durch die Fürsprache Mariens vermittelt. Kann in ähnlicher Weise vielleicht der hl. Joseph, vor allem heute, als Verwalter, ja als Mittler der Gnaden, betrachtet werden? Wie wir bereits in unserer Kleinen Geschichte der Josephsverehrung erklärt haben, würde dies mit einer womöglich singulären Rolle des hl. Joseph in diesem Stadium der Heilsgeschichte zusammenhängen, so wie auch die Muttergottes eine besondere Rolle in diesen „letzten Zeiten“ einnimmt. Diese ihre besondere Rolle hat sie schließlich selbst in Fátima so verkündet, indem sie ihr „Unbeflecktes Herz“ der Welt als „letztes Rettungsmittel“ empfahl, und es ist wohl kein Zufall, dass der hl. Joseph auf dem Höhepunkt des Sonnenwunders von Fátima erscheint und mit dem Jesuskind auf dem Arm die Welt segnet. Die besondere Rolle Mariens in den „letzten Zeiten“ ist mit derjenigen des hl. Joseph auf das Innigste vereint. Am Ende der Zeit tritt so die Einheit der Hl. Familie noch stärker in den Vordergrund. Und stimmt das nicht auch wieder mit der Botschaft Unserer Lieben Frau von Fátima zusammen, die gemäß der hl. Lucia dos Santos sagte, dass „die letzte Schlacht Satans gegen Gott um die Familie geschlagen wird“? Jesus, Maria und Joseph, die Einheit der Hl. Familie wären dann das Siegeszeichen dieser letzten Schlacht.

Mit dieser heilsgeschichtlichen Deutung betreten wir natürlich den Boden der persönlichen Meinung, die von der bewährten theologischen Exegese des Spruchs „Geht alle zu Joseph“ zu trennen ist. Wir sind jedoch überzeugt, dass eine Reihe gewichtiger Gründe dafür sprechen, dass die Verehrung des hl. Joseph gerade heute überaus wichtig und wertvoll ist. Wir haben selbst erfahren, wie wir durch die Verehrung dieses oft unterschätzten Heiligen tiefer zu Gott gefunden haben. So wollen wir letztlich nichts anderes tun, als uns die Worte der hl. Theresa von Ávila zu eigen zu machen, die ja bereits vor Jahrhunderten empfahl, die Verehrung des hl. Joseph „einmal selbst auszuprobieren“. Denn unabhängig von jeder heilsgeschichtlichen Deutung der womöglich besonderen Rolle des hl. Joseph in unserer Zeit, können wir als sicher festhalten, dass wir nicht enttäuscht werden, wenn wir dem Aufruf „Geht alle zu Joseph“ folgen. Wir können als sicher festhalten, dass Joseph von Ägypten sowohl auf Jesus Christus, als auch auf den hl. Joseph vorausdeutet. Und gerade diese Doppeldeutigkeit hat natürlich auch darin ihren letzten Sinn, dass die Verehrung des hl. Joseph immer auf Jesus hingeordnet ist, und dass der hl. Joseph uns stets zu dem führt, bei Dem „Erlösung in Fülle“ ist. Wenden wir uns also zu Joseph und lassen uns von ihm zu Jesus führen!

Jesus, Maria und Joseph – erleuchtet uns, helfet uns, rettet uns!


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