Unbefleckte Empfängnis Josephs?

„Es gibt eine allgemeine Regel bzgl. aller besonderen Gnaden, die je einem Menschen gewährt wurden. Wann immer die göttliche Gunst jemanden auserwählt, eine besondere Gnade zu empfangen oder eine hohe Berufung anzunehmen, schmückt Gott die auserwählte Person mit allen Gaben des Geistes, die zur Erfüllung der vorliegenden Aufgabe erforderlich sind. Diese allgemeine Regel wird insbesondere im Fall des hl. Joseph bestätigt.“

~ aus dem “Sermo 1 de Sancto Joseph” des hl. Bernhardin von Siena

Wir verehren im hl. Joseph den größten Heiligen nach der Muttergottes. Diese herausgehobene Stellung des hl. Joseph ist zwar nicht förmlich als kirchlicher Glaubenssatz definiert. Es handelt sich jedoch um eine allgemein anerkannte Meinung, die von vielen Heiligen und auch in einem lehramtlichen Dokument vertreten wird. So schreibt Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika Quamquam pluries (1889) über den hl. Joseph:

„Gewiss ist die Würde der Muttergottes von solcher Erhabenheit, dass es nichts Größeres geben kann. Dennoch besteht kein Zweifel, dass der hl. Joseph, weil er mit der allerseligsten Jungfrau durch das Band der Ehe eng vereint war, an jene überragende Würde, mit welcher die Gottesmutter über alle Geschöpfe hoch hinausragt, so nahe heranreichte wie kein anderer. Die Ehe ist nämlich die innigste aller Verbindungen und Lebensgemeinschaften und hat naturgemäß die Gütergemeinschaft beider Gatten zur Folge. Als daher Gott den heiligen Joseph zum Gemahl der Jungfrau Maria bestimmte, gab er ihr nicht nur einen Lebensgefährten, einen Zeugen ihrer Jungfräulichkeit und einen Beschützer ihrer Ehre, sondern er hat ihn ganz gewiss auch, kraft des ehelichen Bundes, an der hocherhabenen Würde seiner Gattin teilhaben lassen.“

Ein weiterer Konsens besteht darin, dass diese besondere Heiligkeit des hl. Joseph aufgrund seiner einzigartigen Rolle schlicht notwendig war: Als reinster Bräutigam der allerseligsten Jungfrau Maria und Nährvater des menschgewordenen Gottes, als Hausherr und Haupt der Heiligen Familie musste die Heiligkeit Josephs von Nazareth von absolut außergewöhnlicher Natur sein.

Offen bleibt dabei, wie diese außergewöhnliche Heiligkeit des hl. Joseph zu erklären ist.

~ Wurde der hl. Joseph so wie die Muttergottes auch unbefleckt empfangen, d.h. war er vom Moment seiner Empfängnis an frei von jedem Makel der Erbsünde?

~ Oder wurde er zwar zunächst in der Erbsünde empfangen, aber durch ein besonderes Privileg noch vor seiner Geburt von diesem Makel befreit?

~ Oder hat er „nur“ ein gerechtes Leben geführt, indem er nie auch nur eine einzige lässliche Sünde begangen hat?

In diese drei Positionen lassen sich die verschiedenen theologischen Meinungen zu dieser Frage gruppieren.  

Die erste Position von einer womöglich unbefleckten Empfängnis Josephs lässt sich allerdings verhältnismäßig einfach widerlegen. In der Bulle „Ineffabilis Deus“, mit welcher die Unbefleckte Empfängnis Mariens 1854 durch Papst Pius IX. zum Dogma erhoben wurde, heißt es,

„dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht [singulari gratia et privilegio] des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb.“

Wenn das Gnadengeschenk der Unbefleckten Empfängnis Mariens ein „einzigartiges“ war, dann kann es nicht ein zweites Mal vergeben worden sein. Insofern müssen wir die Meinung, der hl. Joseph sei unbefleckt empfangen worden, sicher ausschließen.

Ganz anders sieht es hingegen mit einer besonderen Heiligung Josephs noch im Mutterleib aus. Dafür gibt es nämlich ein Vorbild, den hl. Johannes der Täufer. Von ihm heißt es, dass er „schon vom Mutterleibe an vom Heiligen Geist erfüllt“ war (Lk 1,15). Da der hl. Joseph aber als größter Heiliger nach der Muttergottes gilt, ist schwer vorstellbar, dass er ein Privileg nicht erhalten haben sollte, das ein geringerer Heiliger erhalten hat.

Hier könnte nun eingewendet werden, dass doch Jesus Christus selbst im Matthäusevangelium (11,11) sagt: „Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer.“ Diese Stelle ist jedoch so zu verstehen, dass Johannes der Täufer der letzte der alttestamentlichen Propheten ist und unter diesen der größte, d.h. die heiligste Gestalt vor der Ankunft des Messias. Der hl. Joseph hingegen gehört bereits der Ordnung der Gnade an, die mit der Menschwerdung Christi begonnen hat. Dieses Komplementärverhältnis zwischen Johannes als dem Größten des Alten Bundes und Joseph als dem Größten des Neuen Bundes (nach Maria) findet sich öfters in der kirchlichen Kunst dargestellt.

Es wäre also der besonderen Rolle des hl. Joseph angemessen, dass auch er durch ein besonderes Gnadenprivileg noch vor seiner Geburt geheiligt wurde, und zwar so, dass er an Heiligkeit den hl. Johannes den Täufer übertraf, aber natürlich immer noch hinter der unbefleckt empfangenen Muttergottes zurückstand.

Freilich gibt es dafür in der hl. Schrift keine Anhaltspunkte, und auch das kirchliche Lehramt hat sich dazu nicht geäußert. Insofern bleibt diese Ansicht eine fromme Meinung, die man als Katholik teilen kann, aber nicht muss.

In jedem Fall bleibt ein kleinster gemeinsamer Nenner aller Positionen: Joseph hat während seines gesamten Lebens nie auch nur eine einzige lässliche Sünde begangen. Er war frei von jeder Sünde. Ohne ein besonderes Gnadenprivileg ist dies eigentlich nur schwer vorstellbar. Daher halten wir eine besondere Heiligung noch vor der Geburt für am Wahrscheinlichsten.

Unabhängig davon, wie heilig der hl. Joseph zum Zeitpunkt seiner Vermählung mit Maria gewesen ist: Die gegenseitige Liebe und Hingabe, die ihn während der folgenden 30 Jahre mit Jesus und Maria innigst verband, mussten seine Heiligkeit nochmals steigern. Geben wir dafür abschließend noch einmal dem hl. Bernhardin von Siena das Wort:

“Wenn wir arme Menschen durch das Zusammensein mit heiligen Männern, die im Vergleich mit der seligsten Jungfrau nichts sind, dennoch oft fortschreiten, wie große Fortschritte muss dann der hl. Joseph in der Gesellschaft mit Maria und dem Jesuskind gemacht haben. Die unendliche Heiligkeit des Heilands und die unermessliche Heiligkeit der Muttergottes mussten sozusagen auf den hl. Joseph überströmen.”

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